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METULCZKI
Trinkgedächtnisse

25.10. - 21.12.2013
Galerie ARTAe Leipzig, Gohliser Straße 3, 1. OG

Eröffnung: Freitag, 25. Oktober 2013 von 18 bis 22 Uhr

Einführung um 19 Uhr: Dr. Johannes Stahl, Kunsthistoriker, Köln

Zur Eröffnung am Freitag, den 25. Oktober 2013 von 18 bis 22 Uhr
sind Sie und ihre Freunde herzlich eingeladen!
Der Künstler ist anwesend.


     
Links: Metulczki, Calwerstraße 9, 2013, Acryl und Schellack auf Leinwand, 22 x 22 x 5 cm
Rechts: Metulczki, Kühlschrankbild Nr. 20, 2011, Mischtechnik auf Leinwand, 31 x 24 cm



Eidetische Biere

„Genaugenommen gibt es ‚die Kunst‘ gar nicht. Es gibt nur Künstler“, beginnt Ernst H.
Gombrichs Standardwerk Die Geschichte der Kunst, und ein paar Zeilen später weist
Gombrich alles Gerede „über das ‚Wesen der Kunst‘“ als schädlich und töricht zurück.
Damit hätten wir das.
Also reden wir über den Künstler Metulczki. Als ich vor einigen Jahren zum erstenmal
einiger Bilder aus seiner Serie „Bierleben“, die nun unter dem Titel „Trinkgedächtnisse“
firmiert, ansichtig wurde, verschlug es mir buchstäblich beinahe den Atem.
Die Präzision und die Leuchtkraft der meist kleinformatigen Acryl-Schellack-Lasurgemälde
wirkten auf mich – und sie tun es bis heute unvermindert – epiphanisch, salvatorisch
und beglückend zugleich. Das profane Wunder, das sich in zwei Biergläsern bezeugt, die,
in warmes Licht gehüllt, auf einem Tresen oder einem hölzernen Kneipentisch stehen
beziehungsweise ruhen wie Zeugen einer Welt ohne Kapital, Börse, Staat und
Bürokratie – ja, tja, es ist eben: ein Wunder der Wirklichkeit selbst, eine Erscheinung
dessen, was ist und zugleich sein sollte, ein Mirakel, das sich im Kleinteiligen, Mißachteten
zeigt und deshalb schlicht von Wahrheit kündet, vom – mit Aristoteles und keinesfalls
Richard D. Precht zu reden – guten Leben; das, Kürnbergers/Adornos Diktum vom Leben,
das nicht mehr lebt, zum Trotz, in Trinkwirtschaften alten Stils noch eine Zufluchtsstätte
findet; und auf Metulczkis verschwommenen, ins Abstrakte tendierenden „Kühlschrankbildern“,
übermalten und mehrfach übergossenen und überklebten Alltagsphotoimpressionen von
gesichtslosen Herumstehern und -hängern und -hockern und Säufern und Tippelbrüdern,
schmerzlich konterkariert wird.
Hie das Lichte, Exakte, Plastische, Gegenständliche, das in seiner „Zuhandenheit“
(Heidegger) schier sprachlos machend Schöne und Besänftigende; da das Amorphe eines
intoxikierten Lebens, das Metulczki, ohne uns mit sozialpädagogischen Implikationen zu
behelligen, festhält, womöglich auch transzendiert.
Das Stilleben war in der durchweg bewunderungswürdigen protestantischholländischen
Malerei des 17. Jahrhunderts das am stärksten ausdifferenzierte Genre. Da „konnte
der Künstler sich aussuchen“, schreibt Gombrich, „was er gerne malen wollte, und
die Gegenstände so auf dem Tisch anordnen, wie es ihm paßte. So wurde die Bildgattung
zu einem wunderbaren Experimentierfeld für malerische Probleme.“
Hier war der Maler wohl zum erstenmal frei – befreit von den Diktaten seiner Auftrag-
geber, von den Potentaten, die schmeichelhaft-repräsentative Porträts bestellten,
von geschichtlichen Großerzählungen und Mythenstoffen. In der Konzentration auf die
Dinge vollzog sich die Suspendierung der Herrschaft, und so konnten „ganz uninteressante
Gegenstände ein vollendetes Bild ergeben“ (Gombrich).
Ich zögere keinen Augenblick, Metulczki an die Seite eines Willem Kalf oder eines
Vermeer zu stellen, dem Gombrich attestierte, reine „Wunder“ geschaffen zu haben. Die
harmonischen Licht-Schatten-Kontraste, die Reflexe und Brechungen, die wie naturgegeben
in sich vollendeten Farb-Form-Kompositionen, die „Körperlichkeit“ der Gläser, Stühle, Tische
und angeschnittenen Räume – all das läßt die „Trinkgedächtnisse“ bisweilen photographisch
wirken, was, wie man hört, in der vermaledeiten „Kunstszene“ heute kein Malus mehr ist.
„Dinge sichtbar zu machen, die schon sichtbar waren, aber nicht gesehen wurden“
(Sandra Markewitz) – diesem Ziel galten Siegfried Kracauers Studien über die „Errettung der
äußeren Wirklichkeit“. Metulczki setzt sie fort und ist dabei völlig glaubwürdig. Er hat jedes
einzelne der zu sehenden Biere höchstselbst getrunken – und dabei vermutlich als
allererster Maler das eidetische Bier entdeckt.
„Eidos“ bezeichnet bei Aristoteles, in Abgrenzung zur bloßen Materie („hyle“), die
„inseiende Form“, das Allgemeine am je besonderen Stofflichen. Das Wesen des Bieres wird
geschaut, an Hand des angeschauten einzelnen Gegenstandes (Bierglases). Metulczkis Bier-
Eidetik folgt dergestalt der von Edmund Husserl entwickelten phänomenologischen
Methode der eidetischen Reduktion: des Erfassens evidenter Phänomene, die es der
Intuition zufolge tatsächlich gibt. Durch reines Schauen, das „intentionale Erlebnis“ unter
Ausschluß aller Vorurteile („Epoché“), erschließt sich die Wesenhaftigkeit der Dinge –
respektive das Wesen („Eidos“) des Bieres. Bierphänomenologie also ist, mit Husserl zu
reden, auch: „Wesensschau des Gegebenen“.
Da allerdings schwer zu sagen ist, was das Wesen des Bieres schlechthin ausmacht,
ordert Metulczki immer wieder ein Glas Bier, schaut es schweigend an, photographiert es,
trinkt es und malt es hinterher, in mehreren Schichten. Und wenn Ernst H. Gombrich
angesichts der holländischen Meister erläutert: „Sie waren es, die uns gelehrt haben, das
Malerische in der vertrauten Umgebung zu suchen“; sie „konnten ohne dramatische Effekte
auskommen; sie malten einfach ein Stück Welt, wie sie es sahen“ – dann sage ich: Metulczki,
dieser „Hexenmeister“ (Gombrich über Rembrandt), macht eine Welt, eine Wirklichkeit,
eine Wesenhaftigkeit sichtbar, die bislang niemand gesehen hat und doch jeder kennt.
Und wie er das macht, das ist ein Wunder, das bewundert werden soll. Nein, muß.

Jürgen Roth, freier Autor, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main





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