Lesungen zu Leipzig liest! 2009

Freitag, 13.03.2009, ab 19 Uhr

Galerie ARTAe Leipzig


Ostwestgeschichten erzählt, erlebt, erträumt, erschrieben
VIER Autoren mit Geschichte stellen Ihre neuen Werke vor, Gespräche im Anschluss

19 Uhr Sigrun Casper „Chagall ist Schuld“ Konkursbuchverlag und
Ina Paul „Damals in Hanoi im Jahr des Tigers“ Konkursbuchverlag

20 Uhr Julia Schoch „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ Piper Verlag
Julia Schoch ist für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert

21 Uhr Lutz Rathenow „Gelächter, sortiert“ Edition Die Tausend
Vorstellung des Verlages und Gespräch mit dem Verleger Ralf Liebe


19 Uhr
Sigrun Casper: Chagall ist Schuld

Sigrun Caspers Beschreibungen und ihr gebrochener Westostblick sind voller
Selbstironie und sehr unterhaltsam zu lesen. Sie erzählt von der Verkäuferin
in der Deutschen Bücherstube und deren Kunden, die um die Ecke aus dem Berliner
Ensemble oder der Artistenschule kamen, vom Pressecafé, von der Galerie Konkret,
von einigen Bildern von DDR-Malern, von Flucht, späteren Grenzübertritten,
Verwandtschaftsbesuchen und Reisen und nicht zuletzt von Berlin.

Auch zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer berühren uns individuelle Flucht-
geschichten, weil sie zeigen, mit welchem Einfallsreichtum Menschen versuchten,
dem real existierenden Sozialismus zu entkommen. Es sind keine großen Mauerdramen,
sondern kleine alltägliche Geschichten und beiläufige Beobachtungen zwischen Ost
und West, in der Zeit zwischen Mauerbau und Mauerfall. Sie sind radikal subjektiv
erzählt, meist aus der Ich-Perspektive einer im Osten Berlins geborenen und
aufgewachsenen, im Dezember 1961 kurz nach dem Mauerbau als einzige ihrer
Familie in den Westen geflohenen Frau.



Sigrun Casper »Chagall ist schuld«. Ost-West-Geschichten
240 Seiten, Fadenheftung, Klappenbroschur, einige vierfarbige Bilder
Preis: Euro 9,90 ISBN 978-3-88769-375-6, Februar 2009

konkursbuch verlag

Sigrun Casper
* 1939 in Kleinmachnow, 1961 Flucht nach Westberlin. Lebt in Berlin, Kunst- und
Pädagogikstudium, bis 1994 Lehrerin an einer Lernbehindertenschule. Sie publizierte
Erzählungen (Das Ungeheuer) und Jugendbücher (Der Springer über den Schatten -
Gleich um die Ecke ist das Meer. - Sumsilaizos)



Ina Paul: Damals in Hanoi im Jahr des Tigers

Diese Novellen sind auf den ersten Blick tragisch-romantische Liebesgeschichten.
Eine Wiederbegegnung lässt eine große Liebe wieder aufleben. Doch sie erzählen
auch davon wie das Private in der DDR politisch wurde. Es sind keine spektakulären
Schicksale Oppositioneller, sondern Lebensgeschichten von Menschen, die
angepasst lebten und dem Sozialismus nicht kritisch gegenüberstanden. Das Ein-
greifen des Staates behinderte die Entwicklung der Menschen und deren Lieben.
Die Protagonisten verstehen nicht, warum sie nicht mehr ins System passen, warum
sie zum Feindbild wurden. Es sind Geschichten, die vielen anderen auch hätten
passieren können, passiert sind…

Damals in Hanoi im Jahr des Tigers:
wenige Jahre nach dem Ende der französischen Kolonialzeit gerät die junge
Rundfunkjournalistin Maria Martin in den Verdacht, eine unerlaubte Liebes-
beziehung zu einem vietnamesischen Kollegen zu haben, was nicht nur eine
zarte Liebe zerstörte, sondern das ganze spätere Leben aller Beteiligten
durcheinanderbrachte.

Leipzig, noch ehe der Hahn dreimal gekräht haben wird:
Mitte der 1960er Jahre, auf dem 11. Plenum der regierenden Partei der DDR,
wurden viele Kunstwerke, Filme und Fernsehfilme von den Parteioberen
kritisiert und dann verboten, unter anderem auch der kleine Film aus
dem Leipziger Universitätsmilieu, der die Karriere der jungen Dramaturgin
Angela David-Friedrich und ihres noch jüngeren Assistenten und heimlichen
Geliebten, so wie die des Autors H.D. jäh beendete. Irgendwann nach
Maueröffnung begegnet sie diesem jungen Assistenten wieder.

Rückkehr nach Verona:
Die erste Reise nach Öffnung der Mauer führt nach Italien, nach Verona.
Julia Diefenbach, geborene Wolfbach, begegnet dort ihrer ersten Liebe,
dem Mann, den sie nach dem Abitur aus den Augen verloren hat. Es beginnt
eine erotische romantisch ins Märchenhafte gesteigerte Woche in einem
verschwiegenen Hotel...



Ina Paul »Damals in Hanoi im Jahr des Tigers« . Drei Novellen
256 S., Fadenheftung, gebunden, einige Bilder,
Preis: Euro 12,-, SFr 24,-, ISBN 978-3-88769-383-1, Februar 2009.

konkursbuch verlag

Ina Paul studierte an der Deutschen Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg.
1959-67 Dramaturgin beim Deutschen Fernsehfunk. Zwei Jahre bei Radio Hanoi/DR Vietnam,
Vietnam-Buch: Trotz Taifun wächst der Bambus. Danach im DEFA Studio für Synchronisation,
von 1980 bis 1990 Künstlerische Leiterin. Seit 1991 literarische Arbeiten. Weiterer Roman:
"Lieber ein Mann als gar kein Unglück", verlag Volk und Welt 199t, Taschenbuch 2000


20 Uhr
Julia Schoch: Mit der Geschwindigkeit des Sommers


Die so bewegende wie einsichtsvolle Geschichte einer rätselhaften Frau: Nuanciert und
mitreißend erzählt Julia Schoch vom Untergang der DDR und dem Ende aller Träume mit der
Erfüllung des Wunschs nach Freiheit.

Vor allem die Frauen waren übermütig, ihre Gesichter leuchteten, und ihr Lachen hörte
man die ganze Nacht hindurch. Als hätte ihnen nun der Lauf der Geschichte, die
Auflösung unseres Staates, ein Argument für ein eigenes Leben gegeben. Meine Schwester
aber, die in der Abgeschiedenheit der Kiefernwälder und des Stettiner Haffs von der
Freiheit geträumt hatte, hatte noch nichts, das sich zu verlassen lohnte. Nur die
Familie, den Ehemann. Aber sie blieb, traf sich wieder mit ihrem alten Liebhaber
und gab sich fast schwärmerisch der verlockenden Vorstellung hin, dass in diesem
anderen Staat ein anderer Lebenslauf für sie bereitgestanden hätte. Wäre ich
aufmerksamer gewesen, hätte ich ihre verhängnisvolle Entscheidung vielleicht
rückgängig machen können.



Julia Schoch: Mit der Geschwindigkeit des Sommers
Roman, erscheint: März 2009, 160 Seiten, gebunden € 14,95 ISBN: 9783492052528

piper verlag

Julia Schoch

Julia Schoch wurde 1974 in Bad Saarow geboren und wuchs in Mecklenburg auf.
Seit 1986 wohnt sie in Potsdam. Mehrere Jahre arbeitete sie als Filmvorführerin.
In den neunziger Jahren studierte sie Germanistik und Romanistik. Sie lebte
längere Zeit in Paris, Bukarest und Kaliningrad. Von 2000 bis 2003 war sie
wissenschaftliche Mitarbeiterin für französische Literatur an der Universität
Potsdam.Seit 2003 ist sie freiberufliche Autorin und Übersetzerin.

Preise
2007 Stadtschreiberin von Rheinsberg
2006 Stadtschreiberin von Dresden
2005 Preis der Jury beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt
2004 Stefan-George-Preis für Übersetzer französischer Literatur
2003 Hermann-Lenz-Stipendium
2003 Droste-Förderpreis der Stadt Meersburg
2002 Friedrich-Hölderlin-Förderpreis der Stadt Bad Homburg
2001 Förderpreis des Landes Brandenburg für Literatur

Stipendien (Auswahl)
2008 Stipendium des Deutschen Studienzentrums VENEDIG
2007/08 Jahresstipendium aus dem Else-Heiliger-Fonds der Konrad Adenauer Stiftung
2006 Stipendium des Deutschen Literaturfonds
2005 Grenzgänger-Stipendium der Robert-Bosch Stiftung
2003 Aufenthaltsstipendium für das Künstlerhaus Lukas (Ahrenshoop)
2002 Aufenthaltsstipendium für das Ledig-Rowohlt-Haus (New York)
2002 Stipendium der Stiftung Niedersachsen und der Bundesakademie für kulturelle Bildung
2001 Aufenthaltsstipendium im Schloß Wiepersdorf
2000 Stipendium der Stiftung KulturFonds

Erzählbände und Romane
Mit der Geschwindigkeit des Sommers, Roman, 2008, piper Verlag
»Steltz & Brezoianu – ein Mosaik für Leidenschaftliche«, 2007, Kürzestgeschichten, Edition AZUR
Verabredungen mit Mattok, Roman, 2005, piper Verlag
Der Körper des Salamanders, Erzählungen, 2001, piper Verlag
Übersetzung: Fred Vargas: Die dritte Jungfrau, Roman, 2006, Aufbau Verlag
Übersetzung: Fred Vargas: Der vierzehnte Stein, Kriminalroman, 2005, Aufbau Verlag
Übersetzung: Fred Vargas: Die schwarzen Wasser der Seine, 2007, Aufbau Verlag
Übersetzung: Georges Hyvernaud: Der Viehwaggon, 2007, Suhrkamp Verlag


21 Uhr
Lutz Rathenow: „Gelächter, sortiert“ und
Vorstellung des Verlages Edition Die Tausend und
Gespräch: Ralf Liebe (Verleger)


Lutz Rathenow hat seine Art, die Welt lyrisch mißzuverstehen, neu sortiert. Und lässt
an seinen ersten Gedichtband denken („Zangengeburt“, 82). Botschaften von der
düster-heiteren Auflösung eines Staatswesens aus den Neunzigern tauchen auf -
vor allem aber die heutige Welt, die sich ständig neu erfinden will. Skeptisch
fröhliches Spiel zwischen Golden Gate Bridge, Nazi-Bergfestung und dem
Stierkampf in Sevilla - das Gelächter gilt oft dem Sterben. Fußballgedanken,
Graffiti, Erotik – eine Mischung aus Pathos und Pathosverhöhnung.

Eine berlineske Stimmung nervöser Spiritualität durchzieht die Sammlung – und
schreibt die lyrische Biografie des oft als politischen Zeitzeugen wahrgenommenen
Rathenow fort.



Lutz Ratnehow: Gelächter sortiert
Gedichte, 112 Seiten, Fadenheftung, Leineneinband mit Schutzumschlag,
Verlag Ralf Liebe, Edition Die tausend 20.- Euro ISBN: 978-3-935221-59-7

Lutz Rathenow ist 1952 in Jena geboren, 1973-75 Gründer und Leiter des Arbeitskreises
"Literatur in Jena" (bis zum Verbot), Studium Deutsch/Geschichte an der Universität Jena.
1977 Ausschluss vom Studium aus politischen Gründen, Übersiedlung nach Ostberlin.
Konspirative politische Arbeit in der und zunehmend gegen die DDR. Literarische
Arbeit und Suche nach Wegen in die Öffentlichkeit. 1980 Verhaftung und dreimonatiges
Ermittlungsverfahren wegen des ersten nur im Westen erschienenen Buches "Mit dem
Schlimmsten wurde schon gerechnet". Zahlreiche Veröffentlichungen in der Bundes-
republik, Österreich und der Schweiz. Übersetzungen in Schweden, Frankreich, USA
und Kroatien. Vor und nach dem Ende der DDR einige Preise. Lyriker, Kinderbuchautor,
Satiriker, Prosaist, Gelegenheitsdramatiker, Essayist, Prenzlauer Berg-Miterfinder
sowie -Kritiker, Rundfunkkolumnist, Herausgeber, Redakteur der Zeitschrift
LIBERAL. Er hält Schreibwerkstätten ab und tritt gelegentlich mit dem Punk-Liedermacher
Heinz Ratz auf. Etwa 15.000 Seiten Stasi-Akten über ihn als ambivalentes Erbe aus
DDR-Zeiten sind vorhanden.

Wegen des ersten 1980 nur im Westen erschienenen Buches verhaftet, drei Monate
Ermittlungsverfahren, danach ein DDR-Leben als in mehrere Sprachen übersetzter Autor,
der zu Hause nur in Kirchen und Wohnungen lesen darf. Mit den Lyrikern Uwe Kolbe,
Frank-Wolf Matthies u.a. als neue Autoren-Generation im Westen stark beachtet.
(Über 15000 Seiten eigener Stasi-Akten als ambivalentes Ost-Erbe.) Heute Lyriker,
Kinderbuchautor, Satiriker, Prosaist, Gelegenheitsdramatiker, Kolumnist. Eher
merkwürdige Literaturpreise (zuletzt: Dulzinea- Lyrikpreis 2007), viele Veröffent-
lichungen von und über ihn künden vom etablierten Außenseiterdasein im
Literaturbetrieb. Die Neuauflage des Ostberlinbuches (2006, mit Fotos von
Harald Hauswald) wurde ein Bestseller.



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